Lass uns brechen (2016)

Manuskript aus 2016, unfertiger Roman über die Zukunft in 2021
von Jonas Jossen (1995-)

Die mittlere Post-Moderne, das 21. Jahrhundert, die Zukunft, auf die wir alle gewartet haben und jetzt endlich erleben dürfen.
Eine Zeit, in der undenkbar riesige Hochhäuser umhüllt von gigantisch flimmernden Werbespots aus dem Boden spriessen wie Pilze und sich zu Bürometropolen zusammenfügen, behängt mit wehenden Flaggen von Grosskonzernen, Supermärkten und Banken. Die Zeit, in der die haarsträubendste Technik erfunden wird, sich die ganze Menschheit im Internet sieht und bestaunt, in der die (amerikanische oder veramerikanisierte) Unterhaltungsbranche zur Verbindung der Kulturen und zum Milliarden Business aufsteigt, in der unendlich lange Betonteppiche die riesigen Menschennester verbinden und von unendlich vielen Autos ununterbrochen befahren werden.
Hightech wohin man auch hinschaut. Leute sind so gut ausgestattet wie noch nie, so effizient wie noch nie, so konzentriert wie noch nie und so pflichtbewusst wie noch nie. Sie haben ihre elektronischen Sekretärinnen in der Hosentasche der angepassten Kleidung. «Schreib Thomas, ich maile ihm die Files und er soll die Eiger-Aktien verkaufen. Wo gibt es hier in der Nähe einen protzigen Stripclub? Ich muss noch einige Polizisten und Politiker kaufen. Erinner mich um neun noch meinen Kindern irgendwas zu kaufen. Und wie ging GC-Sion eigentlich aus? »
Siri hat’s verstanden. Sie versteht alles. Und gibt sogar «smarte» Antworten. Die Menschen haben endlich wieder jemanden, um ihre kranken Sklaven Fantasien auszuleben.
Brillen mit Display, elektronische Schultafeln, Touchscreen in selbstparkenden Autos. James Bonds Gadgets sind Schnee von gestern. Maschinen machen jede Drecksarbeit, für die man sich zu schade ist und alle können sich alles leisten. Nur Gewinner.
Die Werbung zeigt uns eine perfekte fiktive Welt voller Anglizismen, wo Leute ein perfektes Lächeln im perfekten Moment fälschen und deren Teil wir sein könnten! „Mit dieser Uhr sehe ich aus wie Leonardo DiCaprio!“
Die Plakate und Tafeln leuchten in allen Farben und in alle Richtungen, in allen Grössen und Formen.
Und am Abend, damit sich die Leute nach der harten Arbeit keine Fragen stellen, hat der liebe Onkel Kapitalismus für jeden etwas ganz besonderes. Videospiele für die Träumer. Zensierte TV-Nachrichten für die Interessierten. Filme für die Abenteuerlustigen. Sitcoms zeigen ein akzeptables Privatleben vor, das bald zur einzigen Sorge wird. Alles scheint gut zu laufen, Armut ist erfolgreich vertuscht, Autos sind ökologisch, Essen fettarm . Alle sind reich, alle sind glücklich im schönen Westen. Nur Gewinner.
Leider kam diese herrliche blinde Zeit bald zu einem Ende.

Willkommen in Europa im Jahre 2021.

Der Klimawandel, der sich schon seit einiger Zeit aus unseren Gesprächen geschlichen hat, meldet sich zu Wort. Immense Hitzewellen sorgen für Hautkrebsrekorde, ganz Australien leidet unter Dürren und die Regierung hat Ausgangsverbote eingeführt. Immense Hungersnöte und Waldbrände folgen und Holland wurde bereits 2017 zum grössten Teil überflutet. Ausserdem verwüsten Hurrikans ganze Staaten der USA, die zudem, wie grosse Teile von Lateinamerika und Afrika, von gefährlichen Krankheiten geplagt werden. Die schlimmsten Seuchen, die auch den Rest der Welt bedrohen, sind einfache bakterielle Krankheiten, die eine Antibiotika Resistenz entwickelt hatten. Die Opferzahlen steigen seit dem Ausbruch 2016 stetig in die Höhe.
Auch die EU war 2016 zerfallen, nach mehreren Finanzkrisen, Sabotage und Komplotten gegen Deutschland. Somit hatten die rechtspopulistischen, EU-feindlichen Parteien in ganz Europa ihren Erfolg gesichert.
Armut verteilt sich auf dem ganzen Kontinent. Die Rechtspopulisten versprechen neuen Reichtum und Freiheit für alle, aber machen vor allem immer provokantere anti- «Pädophilen», anti-Schwulen und anti-Muslimen Propaganda und geben ihnen die Schuld. Marine Le Pen und ihre „Front National“ haben in Frankreich die Präsidentschaftswahlen gerade zum zweiten Mal gewonnen. Die Personenfreizügigkeit gilt nur noch in sehr wenigen Teilen Europas. Die Zölle werden streng kontrolliert, das liegt auch an der panischen Angst vor den „ausser-europäischen“ Krankheiten und der Terrorgruppen.
Diese „ausser-europäischen“ Plagen und die noch extremere Verarmung der Vereinigten Staaten resultierten in einer grossen Abneigung der Europäer gegenüber den amerikanischen Einwanderern und immer mehr Jugendliche, aber auch alte Greise werden Teil von rechtsextremen Bewegungen, beschmieren Asylheime, attackieren Touristen und ausländische Restaurants, vor allem MC Donald’s und Dönerbuden.

Die kleinen, damals noch lächerlichen Rechtsradikalen Parteien von Schweden, Norwegen, Finnland, Lettland und Dänemark haben während der dritten Krise im Jahre 2018 so grossen Zuwachs von Wählern und Parlamentsmitglieder bekommen, dass sie bald ernstgenommene, grosse Teile des Parlaments ausmachten. Die Propaganda wurde immer provokanter und rassistischer und die frustrierte, unpolitische Masse rannte massenweise in ihre Netze. All diese Skandinavischen Länder, die sich jetzt damit brüsten Teil des 3. Reichs gewesen zu sein, haben sich unter Finnland zum „Skandinavischen Front“. Diese benutzte eine neue Version der Flagge des Finnischen Staatspräsidenten. Mit blauem Hakenkreuz.
In einem ersten Schritt verbanden sich ihre Armeen und in einem zweiten wurden alle Muslime oder von Muslimen abstammenden Bürger, Linke, Behinderte und Schwule entweder ausgeschafft oder unter unglaubwürdigen Vorwänden eingesperrt. Das eigentliche Ziel der Skandinavischen Union war, die freigeschmolzenen Regionen der Arktis militärisch zu ergattern, um so die Finanzkrise in Skandinavien zu stoppen und dann alle Muslimen auszuschalten.
Die Finnische und Lettische Armee übernahm ihre alten Luftwaffenwappen des 2. Weltkriegs als Offizielle Armeewappen, also für Finnland ein blaues Hakenkreuz auf weissem Grund und für Lettland ein dunkelrotes, auch auf weissem Grund. Schweden, Norwegen und Dänemark kreierten im Jahre 2020 eigene Versionen, mit ihren Landesfarben.
Russland hatte währenddessen bereits unauffällig das gesamte Gebiet der Arktis besetzt. Blind vor Wut zogen die Alliierten (die vereinigten Staaten, Israel und Kanada – England hatte das Bündnis bestimmt abgelehnt), die Skandinavische Union und die Vereinten Volksrepubliken China und Nordkorea am 28. November 2019 gegen Russland und gegen einander in den Krieg. Der Arktiskrieg hatte begonnen.
Lange blieb es bloss ein Kräftemessen, bis Russland von alleine gehen würde, aber die Amerikaner fingen am 3. Januar 2020, unter dem Befehl von irgendeinem Kokainschnüffelnden Hiphop- und Hollywoodstar -den sie zum Präsident gewählt hatten- an zu schiessen. Es war ein immenses Gemetzel und alle Seiten vertieften sich in ihren Überzeugungen.
Nachdem sich Frankreich, Spanien und Grossbritannien, die sich alle einen Anteil der Arktis erhofften, im Dezember 2020 sich auf die Seite der skandinavischen Neo-Faschisten setzten, gab es heftige Krawalle, da vor allem die jungen Bürger zeigen wollten, dass sie mit diesem Bündnis nicht ganz einverstanden waren. Die Krawalle in Frankreich waren so heftig, dass in grossen Teilen des Landes die Krawallmacher tatsächlich die Strassenschlachten gewannen. Anders als in Grossbritannien, wo die Demonstranten in riesigen Blutbädern niedergeschossen wurden.
Die Le Pen Regierung wurde nach monatelangen Kämpfen gestürzt. Teile der Armee kämpften weiter und schlossen sich zu faschistoiden Paramilitärgruppen zusammen die bald die Unterstützung der Skandinavischen Union gewannen.

Die Schweiz hatte in diesem Kapitel der Geschichte keine spezielle Rolle und die Bevölkerung war dem Geschehen eh nicht sehr nahe. Sie hatte etwa dieselbe Rolle wie immer: Die stille, geheimnisvolle, sichere, neutrale, teilnahmslose Nation Mitten auf dem Riss im Herzen Europas. Sie hatte auch seit Jahren die Grenzzäune immer höher und höher gezogen aus Angst sie würden ihren Wohlstand verlieren. Sie wurde trotzdem hart von der neuen immensen Finanzkrise getroffen.
Die Geschichte mit der EU hatte in der Schweiz sehr viel verändert. Die Rechtspopulisten –die ja doch «alle recht gehabt hatten und den Schweizer vor der EU beschützt hatten»- feierten Rekordresultate und übernahmen bald drei Viertel des Bundeshauses.
Die Angst vor dem Islam, vor Schwulen, vor Sex vor der Ehe, Kondomen, Abtreibung und vor Ausländern trieb die Bauern und Leute vom Land in die Netze der Rechtsparteien und die Angst davor Geld zu verlieren lockte die Städter an. Also raus mit denen die wir nicht brauchen und Türe zu. Arche Blocher.


Da die Türen zu sind, kommt man auch nicht raus.

Bundeshaus, Theatersaal, Dezember 2045

Murmeln, Keuchen und Stöhnen. Der Saal und die Logen sind gefüllt mit wohlgekleideten, steinalten Leuten, die an ihren Atemgeräten nuckelnd von sorgfältig ausgelesenem Pflegepersonal den Schweiss abgetupft bekommen und halbblind, halbtaub, kahl und hellgraufarben sabbernd zur Bühne blinzeln. Sie tragen dicke Klunker an den Fingern und goldene Ketten über den schwarzweissen Galakleidungen.

Rote Sitze, goldene Verzierungen, Flaggen; Die Kultur-Kommission veranstaltet das wöchentliche Spektakel für die Herrscherklasse. Der schnauzbärtige, breitgrinsende, langgliedrige, bundgekleidete Präsentator hüpft unter digital erzeugtem Applaus und den Klängen des Hausorchesters zum Podium und reisst das quietschende Mikrofon an sich:

«Guten Abend, meine Damen und Herren! Willkommen zu den Abendnachrichten!

Nur Gutes von der Front: Während die Armee weiterhin erfolgreich die Grenzen dicht hält, zerreissen sich unsere Feinde gegenseitig. Unser glorreicher General schreibt: «Das Kriegsende steht kurz bevor, wir müssen nur abwarten, die Seuchen tun den Rest. (künstlich erzeugtes Gelächter)

Bald können all unsere tapferen Soldaten wieder die Schweizer Städte bevölkern.»»

(Applaus dringt aus den Lautsprechern)

«Wie klug er doch ist… Unser General! Nun, meine Damen und Herren, es scheint so, als hätten wir schon fast gewonnen. (digitales Gelächter) Es lebe de die Nation! Es lebe unser Militär! Es lebe das Reich! Hebet den Arm zum Gruss» (unter Stöhnen recken sich die fleckigen Finger zur Bühne, aus den Lautsprechern dringt «Heil, heil, heil…»)

Die Cello-Sektion des Hausorchesters beginnt mit Lokomotiven-ähnlichen Streichen Spannung zu erzeugen.

«Zur Unterhaltung des Abends haben wir heute etwas ganz Spezielles für Sie! Einer unserer Stosstrupps ist in Frankreich auf tatsächliches Filmmaterial gestossen, das ist womöglich das letzte Filmmaterial auf der ganzen Welt!»

(Erstauntes «Ohh…» dringt aus den Lautsprechern)

«Es ist uns eine Ehre, mit Hilfe unserer Sponsoren – die Schweizerische Rüstungsindustrie und das Kommunikationsbüro unseres Generals – Ihnen die weltweit erste Film-Vorführung seit sechs Jahren bieten zu können! Es handelt sich dabei um eine mysteriöse Amateurreportage, gefilmt von fünf Sozialfällen, die sich aus irgendeinem Grund an die Front des Französischen Bürgerkriegs begeben haben, um dort die Umstände festzuhalten. Damit verfügt unsere Seite über den grössten Kulturschatz unserer Zeit!»

Applaus dringt aus den Lautsprechern.

«Ich wünsche Ihnen eine interessante Vorstellung. Bühne Frei, Vorhang auf.»

Der Präsentator verschwindet, das Licht geht aus, ein Projektor bescheint eine Leinwand.

Ein Film von Philip Janssen Prod.

Berichte aus dem Französischen Bürgerkrieg:

Wir schreiben das Jahr 2026. Die fetten Jahre sind vorbei… Die Europäische Union ist lange zerschlagen, der westliche Frieden so zerbrechlich wie seit Jahrzehnten nicht mehr, Amerika versinkt langsam im Elend unter der Führung immer absurderer Persönlichkeiten, Russland und China zanken sich um jeden Zentimeter der noch nicht verteilten Welt und der Rest der Nationen schliesst Allianzen und rüstet heimlich auf. Neue Spannungen, alte Rhetorik und die immergleiche Frage, ob es denn schon wieder an der Zeit ist, für ein grosses, dickes Töten…

Währenddessen halten sich die Helveten, unsere Landesgenossen, verhältnismassig gut über Wasser. Ihre Abschottungs- und Überwachungspolitik hat ihren Höhepunkt erreicht, die Grenzen sind dicht und die Bürger sind brav. Dafür sorgt der Polizeistaat mit eiserner Faust.

Es sind neue Zeiten angebrochen, die den alt vergessenen ach so ähneln. Seit neustem lässt aber vor allem ein Ereignis den Kontinent in seiner Angst erschaudern: Am 12. Januar führt der französische General Frédéric Francois einen Putschversuch gegen die Regierung der linken Union und löst dabei den erbitterten Bürgerkrieg zwischen regierungstreuen Milizen und den Berufs-Militär-Putschisten aus – der erste bewaffnete Konflikt auf westeuropäischem Boden seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Die Front reisst sich quer durchs Land und hinterlässt eine öde, verkohlte Gegend zurück – Und genau da wollen wir hin…

Eins.

Frankreich – Das Feuerzeug knipste, die Flamme fauchte und zischte, der Tabak knisterte, als ich den ersten tiefen Zug von meiner letzten Zigarette in meine beiden Lungenflügel riss.

Irgendwann im Februar muss es gewesen sein, um die drei Uhr morgens, auf einer verlassenen Autobahnspur ins Landesinnere – Richtung Front. Ich blies den hellen Rauch zum knapp geöffneten Fenster. Was davon zu nahe an den Schlitz gelang wurde momentgleich vom Fahrtwind mitgerissen. Ich trommeltes sanft aber bestimmt auf dem Lenkrad umher, das Autoradio war an Pauls iPod angeschlossen und seine Sammlung an Doors-Alben, Kaos Protokoll und vielem mehr, macht uns möglich, uns in unserer Lage etwas zu entspannen. Paul wippte auf dem Beifahrersitz im Takt umher und war dabei auf meine Bitte hin noch eine Tüte zu drehen.

Von meinem tiefsten Inneren her stieg ein starkes Gefühl der Freiheit empor, eine souveräne Ruhe, ein Vertrauen in Gegenwart und Zukunft. Es floss durch die verästelten Nervenbahnen bis zu den äussersten Zellen meines Körpers. Wie ich da sass, als Pilot dieses auf der betonierten Bahn rasenden Gefährts mit allem, was ich schätzte und liebte an Bord. Ich nahm einen vor Freude zitternden, tiefen Atemzug. „Ride the Snake“, Jim Morrisons tiefe Stimme drang aus dem mobilen Lautsprecher und ich dachte; Danke, Jungs. Ihr habt die Zeit genutzt, um uns etwas auf den Weg mitzugeben. Sei es nur das Gefühl, einer hoffnungslosen Rebellion, die trotz üblen Aussichten nicht dem Bösen verfällt.

Seit Stunden ritten wir den Rücken der endlosen Schlange, folgten diesem langen, grauen Teppich, bequem in unserer Blechkiste mit Rädern und Fenstern, in dem beinahe all unser Hab und Gut verstaut war, an den leuchtenden Städten und dunklen Wäldern vorbei, durch die Berge und das Flachland immer weiter…

Und wahrscheinlich würden wir nie wieder zurück gehen. Heimat-Ferne, Einweg.

Jede Minute, die verstrich, wurde aus dem Auspuff geröchelt und verschwand im dunklen Nichts der mondbeschienenen Nacht, die in ihrer unendlichen Pracht die Träume und Bilder der Zukunft zu ergründen sucht.

Tonaufnahm 1: Entstehung (Stimme von Philip Janssen)

«Unser Plan ist simpel: Einen Film drehen über die Umstände und die Akteure des Französischen Bürgerkriegs. Die Methode: Pure Improvisation. Wir haben ein Auto, eine Kamera und eine Crew. Erfahrung hat eigentlich keiner von uns, Geld sowieso nicht, aber der Film ist streng genommen bloss eine Ausrede. Wir brauchen alle etwas, das uns einen Sinn gibt. Wir wollen weg von der tristen, perspektivlosen, grauen Stadt, in der wir alle schon viel zu lange vergammeln. Weg von der Überwachung, weg von den überall patrouillierenden, kontrollierenden und sanktionierenden blauen Männern. Weg von den paranoiden Bürgern, die es aus panischer Angst vorziehen, eingeschlossen zu leben und strikten Regeln zu folgen – die lieber alle Schönheit, Spontaneität und Unabhängigkeit aufgeben, als ein noch so geringes Risiko zu dulden.

Die verängstigten Schafe, die auf ihre Freiheit verzichten, für vermeintliche Sicherheit. Ja, nur vermeintlich, denn Knallen kann’s ja immer noch, auch mit Bataillonen aus bewaffneten Beamten. Und geknallt hat’s auch immer schon, seit den Gezeiten, immer wieder, irgendwo, aus irgendeinem Grund.

Wir wollen irgendwo hin, wo es anders ist. Wir wollen die Welt sehen, die richtige Welt, ausserhalb dieser Plastikbox, da, wo Dinge noch passieren, wo Geschichte geschrieben wird, die nicht als Häftlings Bericht daher kommt.

Die Schweiz ist im eigenen Widerspruch untergegangen. Angst vor Terror hat den eigentlichen Terror erst ausgelöst. Für mich ist klar, ob Sharia oder Bullenstaat, macht doch keinen Unterschied. Verhüllungspflicht oder Verhüllungsverbot, Versklavung oder Arbeit für Miete und Essen, ob erzwungener Konsumismus und Plastikträume oder anti-westlicher Moralismus und religiöser Fanatismus, kommt doch alles vom selben Typus Mensch, der alle kontrollieren und steuern will, der zu wissen glaubt, was gut ist für die Menschheit.

Ob Alkohol oder Gras sanktioniert wird, ist nur eine Frage der Kultur, aber ob man solche Dinge überhaupt sanktioniert, ist eine Frage der erreichten Stufe menschenfeindlicher, fundamentalistischer, autoritärer Politik von konservativen Ärschen, die unterdrücken, was sie nicht mögen, die nicht Vertreter, sondern die strengen Väter des Volkes werden, die misstrauisch den Pöbel als zu kontrollierende Masse ansehen, statt als Mitmenschen, die ihren Weg suchen.

Ihr solltet es sehen: Jeder verdammte Supermarkt, jeder Bankomat, jede Imbissbude, jedes private oder öffentliche Areal beschäftigt grimmige, private Schläger mit Hunden, Funkgeräten und Schlagstöcken. Die Leute spitzeln ihre Nachbaren aus. In unserem Betonviertel kabeln Kameras aus jeder Ecke.

Unser Vermieter, M. Pérreaux, die alte Krähe, sitzt ununterbrochen in seiner kleinen Kabine im Parterre und starrt wie besessen auf seine Überwachungsmonitore. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass man von irgendeiner dieser selbstgefälligen Uniformen angeschnauzt wird. Natürlich gibt’s auch Prügel, und wenn man wirklich etwas angestellt hat, wird man eingelocht, meistens noch, weil irgendein Rentner am Telefon einen verpfiffen hat.

Mich haben sie vor einem Monat mit einem Joint erwischt, kaum habe ich die Lunte vor meinem Lieblingsspunten angezündet, da hat die Alte von gegenüber schon die Bullen auf mich gehetzt. Nach Schikane und sadistischer Verhaftung haben sie mich in eine kalte Zelle geschmissen.

Die Alte hat sogar das Videobeweismaterial geliefert, somit wurde jegliches Abstreiten der Tat überflüssig. Nach teurem Gerichtsverfahren und einer Woche Freiheitsstrafe, war ich wieder draussen, aber halt auch meinen Job los.

Die Polizei ist überall… In den Beizen, auf den Strassen, in den Parks, überall… An Wochentagen wird nach 22 Uhr eine Ausgangssperre ausgerufen, am Wochenende ab 2 Uhr und neben den ganzen rassistischen und homophoben Propagandaplakaten hängen auch Werbeanzeigen für eine polizeiliche Karriere in allen Ecken der Stadt.

Tja, so kam es dann, dass wir unsere Wohnung geräumt und uns auf ins freie Frankreich gemacht haben. Der gute alte Johannes, der kleine Racker Felix, die rothaarige, wunderschöne Solène, mein Mitbewohner und bester Freund Paul und meine Wenigkeit selbst: ein siebenundzwanzig-jähriger Versuch, ein Leben zu führen, das meinen Vorstellungen entspricht.

Paul reicht mir den hässlichen Joint und hustet kurz auf, unsere drei Passagiere dösen auf der Rückbank, Felix schnarcht ein wenig.

Zwei.

Vielleicht ist dieser Einstieg etwas zu direkt… Lasst mich etwas früher beginnen, noch vor Aufbruch zur glorreichen Himmelfahrt gen Westen.

Zwei Tage zuvor, um die Mittagszeit, lag mein Körper noch nackig in meiner Wohnung, in einem der lausigsten Betonvierteln Lausannes. Anstatt eine Stelle zu bekommen blieb ich immer lange liegen. Das verregnete Grau, das ich aus dem Fenster sehen konnte, beruhigte mich in meiner misslichen Lage, aber half mir nicht weiter.

Seit einiger Zeit waren Rauschmittel so selten aufzufinden, dass ich begonnen hatte, mir wahllos alles rein zu pfeifen, das in meine Finger kam. Ob Kleber schnüffeln, Lachgas aus Ballonen ziehen, getrocknete Bananenschalen rauchen, oder einfach unbekannte Tabletten schlucken, die mehr Nebenwirkungen als Wirkung hatten, es unterhielt mich und machte meine Zeit als Arbeitsloser etwas abwechslungsreicher. Durchfall und Schwächeanfälle, Halluzinationen und luzide Momente des Schreibens unterhielten mich recht gut. Aber nun ja… Das Essen wurde knapp. Ich war so niedergeschlagen, dass ich wohl Globi zum Bechern gebracht hätte.

Der Tag – ich weiss nicht mehr welcher Wochentag, geschweige denn das Datum – der Tag hatte jedenfalls schon lange begonnen, aber die Sonne versteckte sich hinter einer dicken, dunklen Wolkenschicht und kalter Regen trommelte in einem wilden Free Jazz Takt an mein Zimmerfenster. Wie schon erwähnt, lebte ich zu dieser Zeit in einer kleinen hohen Wohnung mit Paul, und ich hielt mich schon seit fast vier Jahren mit irgendwelchen Gelegenheitsjobs aus dem Internet über Wasser. Ich war Kellner, Supermarktverkäufer, Taxifahrer, Snackwagenschieber im Zug und sogar kurz Frittenjunge bei MC Donald‘s.

All diese Jobs hatte ich entweder aus Langeweile aufgegeben oder nach Manifestation meines Temperaments oder Lebensstils verloren. Die einzige durchgehende Beschäftigung – und Leidenschaft – war das Schreiben. Ich sass stundenlang vor meinem klapprigen alten Laptop und erfand tausende von lächerlichen Figuren, die in wahnwitzigen Geschichten, die ich nie zu Ende schrieb, nur sehr selten zeigte und nach einer schlechten Kritik schliesslich völlig aufgab. Die Gedichte, Artikel, Briefe, Kommentare, die in kurzen Motivationsschüben verfasst hatte, tanzten vor meinem zynischen Blick als selbstgefällige Karikaturen meiner selbst, unentschlossen, stolz und doch wertlos.

Ich hatte schon so lange in abwechselnden Positionen gelegen, dass das wache Liegenbleiben unangenehm wurde. Also stand ich auf, zog ein Paar Unterhosen übers Geschlecht, steckte mir brustkratzend eine Zigarette an und schleppte mich in die kleine Küche. Dort schaltete ich den klapprigen Wasserkocher an und irrte dann gefühlte zwanzig Minuten lang durch die Wohnung auf der Suche, oder besser gesagt, in der Hoffnung ein feuerspendendes Objekt zu finden.

Paul, mein Mitbewohner, war nicht da. Er hatte ein Vorsprechen für eine Rolle in einem Theaterstück, mit dessen Text er mir seit Monaten in den Ohren lag… Ja, Paul war Schauspieler, aber spielte wohl in so vielen Schaus wie der Rest von uns. Auf jeden Fall wurde Paul von seiner Berufung nicht gerade sehr stark gefordert. Um ihn zu hänseln, sagte ich oft, er hätte viel zu hohe Ansprüche. Denn die Rollen, die er bekam, wollte er nicht spielen.

Er hatte durchaus Talent, sah auch gut aus und hatte eine lange Schule hinter sich, aber das Schicksal gönnte ihm einfach nichts.

Ha! Unter meinem Bett in der hinteren linken Ecke wurde ich schliesslich fündig: Ein kleines, elektrisches Feuerzeug, geziert mit dem Bild einer entblössten Dame.

Ich knipste und knipste und knipste voller Erwartungen bis meine Finger schmerzten, doch meine Zigarette blieb kühl und unbeeindruckt. Scheisse… Trotzig zog ich ein T-Shirt über, ein Paar Hosen hoch, stellte mich in die italienischen Derbys und betrachtete mich im verschmierten Badezimmerspiegel. Mein unrasiertes, verstrubbeltes, verschlafenes, 27-jähriges Spiegelbild musterte mich prüfend und strich die Frisur zurecht. Ich hatte zu der Zeit relativ kurzes Haar, ich versuchte seriös auszusehen. Deswegen auch die italienischen Schuhe, deren Sohlen aber schon etwas lose getreten waren. Ich schwang Pauls hübschen Regenmantel um, stibitzte einen Regenschirm der Nachbarn und traute mich dann endlich hinaus auf die verkehrs- und abfallverschmutzte Strasse und hinein in den strömenden Regen.

Das Bisschen Schnee, das noch übrig war hatte unumgängliche Massen an Matsch gebildet. Nach zwei Schritten hatte ich nasse Füsse. Zwei Dutzend im Chor grölende Polizeilehrlinge joggten im Takt an mir vorbei und noch etwa fünf ausgebildete Polizisten standen in Regenuniform am Strassenrand und rauchten, mit dampfenden Kaffeebechern in den Krallen. Normalerweise würde ich so etwas nie tun – im Regen raus gehen -, aber ich brauchte ein Feuerzeug, um rauchen zu können und ich musste rauchen, um Schreiben zu können. Ich weiss, es klingt doof, aber es machte damals einen grossen Teil meines Wohlbefindens aus. Ein überdurchschnittlich starker Windstoss riss mir den Schirm aus der Hand und der Regen durchnässte zuerst meine immer noch zwischen den Lippen geklemmte Zigarette, dann den Mantel und schliesslich mein Hemd.

Am kleinen, heruntergekommenen Kiosk um die Ecke kaufte ich diverse Zeitungen, darunter den Tagi und „le canard enchainé“, noch eine Packung Zigaretten und natürlich ein kleines weisses Feuerzeug, das ich um ein Haar vergessen hätte. Dann rannte ich, den Mantel über den Kopf gezogen, unter Donnergrollen und durch den Regenschauer zurück zum düsteren Betonblock.

Dort angekommen, zündete ich endlich die erste Zigarette des Tages und goss aufgekochtes Wasser in eine peinliche Tasse, die sich nach Durchflutung des Teebeutels in eine Tasse Tee verwandelte. Aus dem Schrank holte ich noch die geheime Zutat, die einen gewöhnlichen Schwarztee zu einem Schwarztee mit Whiskey-Schuss macht.

Ich setzte mich vor den Computer und starrte rauchschnaubend auf den Bildschirm. Keine Lust… Stattdessen schaltete ich die Regionalnachrichten ein:

«Zur Feier der ersten Siege der Koalition gegen die Achse des Bösen, spricht jetzt der Präsident der vereinigten Staaten im Garten des Weissen Hauses…»

Ich schaltete den Laptop aus. Nicht noch mehr von diesem Quatsch. Mir fiel ein, dass ich nachschauen wollte, wieviel Geld mir noch blieb. Also stand ich wieder auf und schaute in mein Portemonnaie, das ich in irgendeine der chaotischen Ecken geschmissen hatte. Ich zählte sFr.6, 35 und 3 Gitarren Picks. Ein Schauder lief über meinen Rücken. Das ganze Geld vom letzten Job war aufgebraucht. Siebenhundert Franken in weniger als zwei Wochen, ohne die Miete, ohne irgendwas… Nur für die paar Bier und ein, zwei Mal einkaufen. Und das Geld meiner Tante hatte ich Felix ausgeliehen, aber Felix war seit einiger Zeit verschwunden… Entweder durchgebrannt, oder im Knast, oder von irgendwelchen Mafiosis erschossen…

Ich machte mir ein wenig Sorgen um das kleine Kerlchen, aber er war doch noch immer wieder aufgetaucht. Ich hatte damals keine Ersparnisse und niemanden, den ich noch um Geld bitten konnte. Ein kleiner Hunger entfachte sich in meinem Magen, doch die Schränke waren alle leer… Ich stülpte meine fast leeren Hosentaschen nach aussen, plünderte Pauls Manteltaschen und zählte noch einmal durch, in der verzweifelten Hoffnung diesmal eine höhere Summe zu erhalten. sFr.6, 15 und 4 Gitarren Picks.

„Ach, FICK dich doch!“ Ich wusste nicht an wen dieser Vorschlag ging, aber fluchen half mir gerade irgendwie, mein Selbstvertrauen wieder einigermassen aufzubauen. Die Stimme meiner Tante ertönte in meinem Kopf: «Hättest etwas lernen sollen. Es gibt nichts unattraktiveres, als einen Süffel ohne Geld…» Gewalt würde vielleicht auch helfen… Energisch kickte ich gegen einen der drei Stühle, der gegen die Wand flog und zerbrach. Das war dumm… Wir hatten doch nur drei Stühle, verdammt. Wo sollten sich denn jetzt Gäste hinsetzten? Ich nahm meine leere Tasse und füllte sie zur Hälfte mit Tee-Whiskey diesmal ohne Tee mit extra Whiskey. Ich setzte mich, eine neue Zigarette angesteckt, auf einen der zwei übrigen Stühle.

Ich wollte nicht schon wieder Arbeit suchen müssen. Es war so lächerlich und so langweilig und zugegeben, absolut erniedrigend. Ausserdem hatte ich sehr schlechte Eindrücke bei den letzten Jobs hinterlassen und die stecken doch alle unter einer Decke. Ich hatte bei MC Donald’s einem fetten, jammernden Touristen vor seinen Augen in den Burger gespuckt und mich daraufhin mit ihm geprügelt, im Supermarkt aus der Kasse geklaut und mich im Restaurant mit meinem Chef angelegt. Und mit seiner Tochter geschlafen. Solène…

Wir sollten vielleicht noch eine kurze Episode einbauen, ein paar Wochen vorher. Entschuldigung… Das wird meine Ausgangsposition endgültig auszuschmücken. Im Januar irgendwann hatte Solène, die wie ich im Restaurant ihres Vaters arbeitete, endlich eingewilligt, mit mir um die Häuser zu ziehen. Ich war jedoch sehr knapp bei Kasse, also fuhr ich wieder einmal in den verschneiten Staat Wallis zurück um meine letzte lebende Tante zu besuchen, die nebenbei bemerkt, stinkreich war. Ich stellte ein Gesuch beim entsprechenden Amt (man musste immer ein Gesuch stellen, wenn man den Kanton verlassen wollte) «Waadtland bis Wallis… Welches Datum ist heute?» und gab mein letztes Geld her für das Zugticket. Ich nutzte die Gelegenheit ausserdem, um einen alten Freund aus meiner Schulzeit zu besuchen.

Voilà, das ist ein Einstieg. Ich sass also bei Rahim, meinem türkischen Freund mit Pflanzenfimmel und stand vor einer schweren Entscheidung: Seit Monaten hatte ich keine echten Drogen mehr unter Augen bekommen und da stand er mit einer Phiole voller besten California Sunshine. «Wusstest Du, dass Acid eine der einzigen Drogen ist, auf die die Bullen dich nicht testen können?» Ich konnte einfach nicht widerstehen und so landete ein dicker, grosser Tropfen auf meiner ausgestreckten Zunge… Ach du Scheisse… Nach einigen wunderschönen Szenen in seiner Wohnung in der Altstadt, unter den Tönen seiner besten Platten – Velvet Underground und Magot Brain – und dem Rauch seines Eigengepflanzten, musste ich mich wohl oder übel auf den Weg machen.

Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie ich es geschafft habe in diesem Zustand, von Sitten bis nach Brig zu kommen. Jedenfalls sass ich irgendwann da, im Ortsbus Richtung Biela. Alles Unsägliche der Welt hätte ich in diesem Moment auf mich genommen, nur um der bevorstehenden Zusammenkunft mit meiner Tante zu entrinnen.

Verdammt… Als dann noch ihr Name auf meinem klingelnden alten Handy erschien, da schäumte ich nur so vor Entsetzten.

Damals, also zu Schulzeiten, hätte ich nach so einem Tropfen noch aufs Illhorn steigen können. Ja zu Zeiten der Bande… Aber das war lange her und meine Toleranz war unter Null gesunken… Ach du Scheisse… Ich war zerschmettert, ich zitterte am ganzen Leib, hatte nur noch wirre Gedanken im Kopf. Der Boden wurde grösser und kleiner, es tauchten überall Urformen auf. Die Leute schienen aus dem nichts aufzutauchen ihre Gesichter sich in Teilchen zu teilen. Ich war komplett überfordert. Was ich brauchte war ein Joint irgendwo im Wald, aber doch nicht der Rummel und die Blicke eines vollbesetzten Ortsbusses. Ich fühlte mich unwohl und bedrückt von diesem dunklen Schatten, der in meiner nahen Zukunft hing. Meine Tante…

Scheisse! Mein vernünftiges Ich gewann die Überhand. Ich war wirklich in einem Zustand, in dem mich niemand sehen sollte. Und doch war es unvermeidbar. Ich brauchte das Geld. Für die Sauftour mit Solène. Also, wie schon gesagt, sass ich auf dieser harten Busbank, mit angsterfüllten, blutroten Telleraugen, zitternd, schnaubend, mich kratzend, um mich herschauend und schaudernd.

Mein Handy hatte aufgehört zu klingeln, und ich hätte um ein Haar vergessen auszusteigen. Jetzt stand ich da, in der fast rötlichen Abendsonne mit Blick auf die Städtchen und die Dörfer darum herum und auf das lange wunderschöne Tal, der Wind wehte durch meine Kleidung. Die Berge schienen riesige stumme Wächter zu sein, sympathisch und verständnisvoll.

«Das Leben ist lang und beschwerlich, dunkel und fremd, aber nicht in diesem Moment.»

Ich spürte Zufriedenheit und Freiheit. Meine Umgebung wurde warm und angenehm, die Sonne füllte mich mit Energie und Selbstvertrauen. Ich setzte meine runden, braunen Sonnenbrillen locker auf die Nase und machte mich entschieden auf den leicht verschneiten Weg zur Villa meiner Tante, ich hatte alles im Griff und es fühlte sich an, als würde ich auf Watte laufen. Oder Wolken. Wolken! Irgendeine italienische, langsame Handorgelmelodie ertönte um mich herum. Ich knüpfte bedacht das Hemd zu, richtete langsam meine billige Krawatte, klappte geschickt den Mantelkragen hoch, klingelte und hielt den in Zeitung gepackten 2 Franken-Wein wie einen Karabiner zitternd gegen die Tür. Purer Horror! Das Selbstvertrauen war schon wieder weg. Angst kam in mir hoch! Die Hexe würde bald aufmachen und mich durchschauen und dann einsperren lassen, in einer Anstalt! Die Schlösser begannen zu knacken, der Türgriff sank hinunter, und…

Meine Tante öffnete mit einem kühlen gelangweilten Blick und ich setzte blitzschnell ein übertriebenes, angsterfülltes Grinsen auf und streckte ihr die Weinflasche ins Gesicht. Sie nahm mir die Flasche nicht ab, aber ging hinein ohne die Tür zu schliessen. Sie setzte sich im Luxussessel in ihrem Luxussalon, rauchte eine ihrer Luxuszigaretten und nippte an einem Luxus Cognac.

«Du hättest diesen Fusel wenigstens in eine bessere Zeitung packen können. Diese pubertierende Bande von Greisen, die ihren Krawallen nachtrauert… Sollen sie zur Hölle fahren, zu Marx und Lenin und dem ganzen Gesocks. Bolschewistenpack, Heilige Mutter Maria…»

Sie verlor sich kurz im eisernen Hass, und fixierte mich dann streng und böse: «Starr doch noch offensichtlicher auf mein Glas. Bedien’ Dich an der Bar, bevor du es mir in unkontrolliertem Trieb aus der Hand reisst.“

Sie wies auf die Bar hinter ihr. Das hörte ich gern. Ich hasste meine Tante übrigens. Aber auf eine milde Art, die gut zu verstecken war. Diese dürre, hasserfüllte, steinalte, stinkreiche, böse Hexe.

Mit etwas überfülltem Glas in der Hand sass ich dann auf dem zweiten Sessel und liess ihre Hetze über mich ergehen: „ … Es versteht mich ja keiner mehr in der Bäckerei, die reden nur noch Amerikanisch, diese Neger und Jugos. Und frech sind sie auch noch!“ Sie nahm einen Schluck und ich nutzte die Pause um direkt zur Sache zu kommen.
„Also, ich bin eigentlich hier, weil ich dich… nun… weil ich dich fragen wollte, ob du mir… ob ich dir vielleicht, ausnahmsweise, wieder einmal ein wenig Geld… ausborgen könnte.“

„Hast du schon wieder alles versoffen und verhurt? Oh, Jesus Christus sei dir gnädig. Bist du etwa schon wieder arbeitslos?“

„Es ist eigentlich so, dass ich bald, vielleicht… vielleicht bald ein Projekt starten werde… mit einem meiner Freunde. Etwas eigenes. Kulturerbe… mit… Film und so…“

Die Hexe würde mir das Geld schon geben. Es war ein verdammtes Spiel, und ich verstand es von Mal zu Mal besser. Meine Tante wollte Dampf ablassen. Sie brauchte Gesprächsthemen für ihre Kaffeekranzfreundinnen, bei denen sie angeben konnte mit dem Versagen ihrer Familie. Sie freute sich richtig auf meine Bettelbesuche und genoss es bebettelt zu werden. Sie konnte mit ihrem Geld ohnehin nichts anfangen, ausser sich ihre Überlegenheit bei mir zu kaufen. Nach einer langen Predigt und zahllosen Beschimpfungen, den Worten „Familienentehrung“, „gottloser Sünder“, und so weiter, kam sie mit ein paar vorbereiteten und schön geglätteten Banknoten zu mir und sagte: „Geh zurück wo du herkommst.“

Ich wäre ja damals gar nicht arbeitslos gewesen. Ich arbeitete im Restaurant von Solènes Vater und er schuldete mir auch noch Kohle. Ich will es nicht länger ausziehen. Ursprünglich wollte ich ja von Solène und mir erzählen.

Solène… Sie war damals auch Mitte zwanzig, hatte dunkelrotes Haar, eine gottgleiche Erscheinung, ein Körper, ein Lächeln… uff… aber auch einen überaus geschärften Charakter. Sie hatte mir bis dahin immer die kalte Schulter gezeigt, wir arbeiteten seit November zusammen. Allerdings hatte sie ein Faible für Musiker. Als sie mich dann in der Stadt hatte Gitarre spielen hören, gewann sie plötzlich ein bisschen Interesse. Oh, ja… In dieser Zeit war ich noch Teilzeit Strassenmusiker, bis irgendeine Faschobande mir wenig später meine Gitarre zerlegt hat. Meine Gitarre verdammt, das war ein Erbstück! Wie auch immer…

Da hatte sie doch tatsächlich eingewilligt sich mit mir betrinken zu gehen und dieser Fakt hatte mich von da an am Leben erhalten! Deswegen war ich verdammt froh um das Geldbündel meiner Tante. Somit war ich auch sicher, Solène nicht plötzlich um Geld bitten zu müssen. Denn das würde mein Selbstvertrauen in den Keller sperren.

Nach langem Bad und Rasur, Mund- und Rachenpflege, Nägel-Schneiden und Nasenhaar- und Monobrauen-Zupfen einem gründlichen Haushaltstag und minutiöser Vorbereitung des Abends war ich bereit;

Ich holte sie brav am Bahnhof ab und gab ihr zur Begrüssung einen Handkuss. Sie machte eine sanfte, kleine Kniebeuge.

„Wohin wird der edle Herr mich denn ausführen?“

„Ah, dies Unwissen teile ich mit Ihnen, gnädiges Fräulein. Werden Sie mich vorerst auf einen Aperitif im Grünen geleiten?“

«Gewiss. Aber lasset uns nicht zu lange verweilen, ich habe die Intention, noch vor Ausgangssperre einen Vollrausch zu ertrinken.»

«Seien Sie unbesorgt… Dieser Zustand wird Euch nicht mehr lange verwehrt bleiben.»

Wir liefen auf einen grünen Hügel mit Blick auf Stadt und See. Dort holte ich mein Picknicktuch und einige Decken und Kissen aus meinem blauen IKEA-Sack. Ich glaube sie mochte die Picknick Idee. Es war jedoch arschkalt auf dem windigen Hügel. Ich öffnete die etwas teurere Gamay Flasche und füllte zwei Biergläser, die ich an irgendeinem vergessenen Abend hatte mitgehen lassen. Dazu gab es Erdnüsse, Schnaps aus dem Flachmann und eine kleine Tüte. Unsere Ellenbögen berührten sich leicht. Wir waren schon seit einiger Zeit in einem absurden Gespräch vertieft und schweiften langsam in unsere Kindheiten zurück.

„Ich dachte bis ich etwa vier war, die Schweiz sei Teil von Amerika. Ich schaute viel Fern und dachte auch, dass Amerikaner Synchronstimmen-Hochdeutsch sprechen.“ Sagte sie mit ernster Stimme.

„Ich dachte immer, hinter den Alpen wäre ein Strand, der Afrika heisst und danach das Mittelmeer und das Ende der Welt.“

Nach einer Weile war ich langsam aber sicher etwas high und angeheitert, und sie wahrscheinlich auch. Es gipfelte auf den Moment hinaus, an welchem sie belustigt durch meine Haare strubbelte und wir uns dann dann tief in die Augen schauten. Mein Bauch überschlug sich und mein Gesicht wurde ganz warm.

Sie biss sich sanft auf die Lippe, ihre Hand war immer noch auf meinem Nacken. Ich fuhr in einer selbstbewussten raschen Bewegung meinen Kopf einige Zentimeter vor den ihren, um ihr die Wahl zu überlassen, mich zu küssen oder zurückzuziehen.

Sie wählte Ersteres und legte ihre vollen, angefeuchteten Lippen gekonnt auf die meinen, mit einer Hand am Boden und der anderen auf meiner Brust.

Dann zog sie plötzlich zurück, warf ihre Beide über meinen Schoss und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Wir schwiegen eine Weile lang. Ich legte meinen Arm um sie und wir genossen die Aussicht. Ihr Kopf war warm und roch nach Äpfeln.

Nach einer halben Stunde sassen wir dann in einem kleinen Britannia Pub und nach einer grossen Anzahl grosser Biere lief ich mit ihr zu ihr. Wortlos hatten wir uns darauf geeinigt, dass wir jetzt schon offiziell Händchen halten durften. Wegen der Kälte und unserem schwankenden Schritt entschloss ich, meinen Arm um sie zu werfen, und sie, sich an meiner Jacke zu halten. Ich lief entspannt und streckte den Rücken und kam mir grösser vor als sonst. Die Ausgangssperre wäre bald in Kraft getreten. Ich nutzte diese Ausrede um zu fragen, ob ich bei ihr pennen dürfe. Sie lächelte mich an und war einverstanden. Sie wohnte jedoch noch bei ihrem Vater, meinem Chef, also mussten wir leise sein…

Nach einer unvergesslichen Nacht hatte ich schon einige Franken weniger, dafür begann meine Affäre mit dem Mädchen mit den Feuerlocken. Nach zwei Wochen erwischte uns ihr Vater und hat mich gefeuert. Nicht nur, weil ich seine Tochter vögelte, sondern auch weil es in seinem Büro war und während meiner Arbeitszeit. Und weil ich manchmal mit Freunden nachts im Restaurant Alkohol und Dekoration geklaut hatte. (Paul weist Spuren von Kleptomanie auf, wenn er high ist.)

Und weil ich mich besoffen mit einem Gast geprügelt habe. Aber vor allem, weil dieser Bastard mich von Anfang an einfach nicht leiden konnte und nur einen Grund gesucht hat mich loszuwerden.

Ich traf seine hübsche Tochter noch eine ganze Weile lang von Zeit zu Zeit und dachte, ich sei tatsächlich verliebt. Doch dann lies sie mich sitzen, weil sie anscheinend nichts Ernstes wolle. Ein letzter, langer Kuss, eine ploppende Lippe, ein letzter Blick und dann verschwand sie in der Menge.

Sie legte sich in eine gut dekorierte Ecke meines Gehirns, zu den anderen Erinnerungen, bis sie eines Tages von der Vergessens-Behörde abgeholt werden würde. Ihre Stimme, ihr Apfelduft und ihre Brüste verfolgten mich noch lange und oft in meinen Träumen.

Das also zu Drogen, Job, Geld und Liebe. Zurück in meine Wohnung im Februar, an den Zeitpunkt an dem mir all dies fehlte. Ich sass schon etwa eine Stunde am Küchentisch und beäugte den Stapel Münzen. Plötzlich schwang die Tür auf und Paul schleifte sich hinein.

Paul hat einen schwarzen, sehr gründlich frisierten Haarschnitt, trägt eigentlich immer Hemden, geknüpft bis nach oben, ist immer glattrasiert und riecht nach Aftershave. Er ist eher mager, nicht sehr muskulös, immer etwas melancholisch und nachdenklich, immer ruhig und kontrolliert und seine Augen hatten immer diesen blaugrauen Schimmer, der eine Art Trauer oder Reue ausstrahlte.

„Wir haben nichts mehr zu Essen.“ Brummelte ich mit einer monotonen genervten Stimme in Pauls Richtung. Paul berichtete, dass er die Rolle nicht bekommen hatte: «Ich bin anscheinend zu klein.» Ich war so müde und hungrig, dass ich kein Mitgefühl empfinden konnte und hasste mich ein wenig dafür.

„Komm, wir gehen einkaufen.“ Sagte ich, immer noch mit der monotonen Roboterstimme.

„Ich bin pleite, Mann.“ Ertönte die verzweifelte Stimme des jetzt rauchenden Paul aus der Küche, der sich auch eine Tasse Whiskey ohne Tee gönnte. «Ich auch…», «Ich dachte du wärst bei deiner Tante gewesen.»

Das war ich ja auch gewesen… Nur leider würde ich dieses Geld so schnell nicht mehr sehen, da ich es ja, wie gesagt, dem schon wieder verschollenen Felix ausgeliehen hatte.

Scheisse. Scheisse. Eine grosse Verzweiflung kochte in mir hoch. Ohne Geld musste ich auf so viele Dinge verzichten. Ich hasste es, wenn wir pleite waren. Kein Gras mehr, keinen Alkohol mehr, keine Zigaretten mehr. Dazu kam der Hunger, der war aber das kleinste Problem. Ausserdem war die Miete fällig.

Ich setzte mich jetzt auch wieder an den Küchentisch. «Was ist mit dem Stuhl passiert?» Ich antwortete nicht.

Nach zehn Minuten Stille stand ich auf und sagte entschlossen mit einer plötzlichen Motivation, die mich selbst überraschte: „Lass uns die Wohnung umkrempeln, alle Hosen- und Jackentaschen, unterm Bett und in den Schränken, Schubladen, Kisten, Koffern…!“ So geschah es…

Eine Stunde später sassen wir wieder am Küchentisch, auf dem jetzt ein Haufen Krimskrams türmte. Die meisten Krimskrams-Bestandteile waren ausländische Münzen, Würfel, Nägel oder Knöpfe, aber darunter war auch eine gelbe, zerknüllte schöne Schweizer Banknote! Ich leerte mein Portemonnaie zum Haufen und zählte „17 Franken und 65 Rappen… Das sollte schon reichen, um was zu futtern und je nach dem sogar noch ein kleines Bierchen.“ Paul grinste mir zu und bald später waren wir mit Fertig-Nudelsuppe gefüllten Mägen in einer kleinen Bar und schlürften die letzten Tropfen Bier aus den Humpen. Paul war immer noch nicht gut gelaunt, aber es hatte geholfen.

Auf einer hübschen nassen Parkbank mit Blick auf den Genfersee wusste ich endlich wieder, wieso ich von den Alpen hierhin gezogen war. Es hatte aufgehört zu regnen und die milde Spätnachmittagssonne warf goldene Streifen durch die Wolkenlücken auf den immensen See mit den kleinen Schiffchen…

Die Französische Küste erschien wegen der Weite etwas gebleicht und meine runden braunen Hippiebrillen tauchten alles in einen warmen Sepiaeffekt. Ich erinnerte mich an Ausflüge mit den schönen, weissen Touristenschiffen und an die Märkte in Evian und Tonnon.

Jetzt schmückten nur noch strenge Polizeipatrouillenschiffe die Wasseroberfläche. Es war unmöglich aus dem Land zu kommen, ohne dabei entdeckt zu werden.

Ich fragte Paul, ob er mir noch eine Zigarette drehen könne, da dieser dabei war sich selber eine zu drehen. Er hatte sie in zwei Sekunden fertig und überreichte sie mir stumm und mit todernster Miene. Ich bot ihm mein neues, kleines, weisses Feuerzeug an, aber er hatte schon drei andere aus der Hosentasche gekramt. Verdammter Bastard. Ich hatte 4 Franken für mein Feuerzeug vergeudet. Er sollte wenigstens eines in der Küche lassen, wie normale Menschen.

Jetzt war ich schon einiges wacher und versuchte kläglich den armen kleinen Paul bei Laune zu halten.

„Wir könnten deinen Vater anrufen, damit er uns Geld schickt… Denn wenn nicht, sind wir spätestens in einer Woche verhungert.“

„Ruf du doch deinen Vater an.“ Sagte er genervt.

Mein Vater. Ich hatte ihn irgendwie beinahe vergessen. Verdrängt. Wie so viele Leute aus meiner adoleszenten Existenz.

„Nein, Mann. Wieviel haben wir noch?“

„Vier Franken und irgendwas.“

„Gib sie mir! Ich hab ‘ne Idee.“

Paul gab mir den Stapel Münzen, und ich rannte zum kleinen runden Kiosk und brüllte beinahe: „Zwei Tribolos, bitte.“

Die Frau gab mir die beiden Rubbellose und ich joggte zurück zu Paul, der mit hochgeklapptem Mantelkragen immer noch deprimiert auf den See starrte.

Ich fand, dass Glückspiel eines der ungerechtesten Arten von Geldmacherei war. Etwa wie die Börse. Und ich fand auch, dass es irgendwie dämlich war unser letztes Geld für diesen Scheiss auszugeben, aber es war eine Option. Mit 20‘000 könnten wir einige Mieten bezahlen, uns während Monaten die Birne benebeln und dann würden wir wieder in der gleichen Scheisse sitzen. Das wäre wunderschön.

„Voilà!“


Paul schaute mich fragend an, aber kratzte dann wild drauf los.

Seins war wertlos. Aber wir hatten ja eine zweite Chance, unsere Probleme aufzuschieben. Jetzt rubbelte ich drauf los: 20‘000.-, 20‘000.-, mein Herz klopfte und mein Magen zog sich zusammen, 2.-, 500.-, 50.-, 10‘000.-. Scheisse. Mein Plan war in die Hose gegangen. Kaputt. Game Over.

Ich setzte mich stöhnend wieder auf die nasse Bank und schaute zu Paul, dann wie er, wieder zum See, den diese ganze Aufregung ganz kalt gelassen hatte.

Drei.

Wieder zu Hause angekommen, schaltete ich das Radio an und versank in verzweifelter Leere.

Wie sollte es weitergehen?

War es aus?

Ich fühlte mich wirklich mies…

Einen kleinen Moment lang dachte ich sogar, dass es vielleicht besser wäre, mich aus dem Fenster auf den Parkplatz zu schmeissen. Ich rappelte mich wieder auf und entschied mich, eine Tüte zu drehen.

Immerhin hatten wir nicht alles verloren: Eine halbe Flasche Jameson und etwas mehr als 3 Gramm feinstes Indoor Kraut.

Ich hatte schon fast fertig, da drang der nervige Klingelton meines klapprigen Handys in meine Ohren und unterbrach den Prozess. Genervt schaute ich aufs Display und erstarrte vor Freude: Es war Felix!!

Felix ist noch etwas jünger und wir kennen ihn seitdem wir in Lausanne leben. Es ist ein sehr kleiner junger Mann, der seine kleinen Finger in alle möglichen kleinen, dreckigen Geschäfte verstrickt hat.

Er ist Hehler, Dealer und Schlepper, spezialisiert auf geklaute Elektronik. Ausserdem ist er eine Art laufendes Drogenlexikon, er weiss alles über Zusammensetzungen, Wirkstoffe, Wirkungsarten und -dauern von allen möglichen Substanzen.

Er hatte damals Tarzan-artige Rastas, kleine starke schmutzige runde Brillen, von denen ein Glas einen gespalten war und immer einen gelben Palästinenserschal um den Hals gewickelt. Dazu trug er stets einen grossen Rucksack aufgebunden und eine meist erloschene gerollte Zigarette im Mundwinkel.

„Felix!“, brüllte ich freudig ins Mobiltelefon.

„Hallo? Ich… Ich hab’ was für dich.“

„Verdammt Felix, wie geht es dir?! Wir haben uns Sorgen gemacht! Wo hast du gesteckt?“

„Lange Geschichte… Ich erzähl ‘s euch später. Kommt zur Kathedrale!“

Eine halbe Stunde später standen wir also rauchend vor der Riesenkirche und der kleine Felix trottete nur etwa eine viertel Stunde zu spät um die Ecke. Er kam keuchend zum Stehen.

Felix ist ausserdem eine sehr theatrale Person, aber so mögen wir unseren kleinen Felix. „Einen Moment!“ Er keuchte und schaute uns mit verschwörerischem Blick an.

Paul, mit seinem ewig eingezogenen Kopf und hochgeklapptem Mantelkragen und ich versuchten ernsthafte Gesichter zu machen, aber das klappte wahrscheinlich nur mässig. Paul schaute genervt und ich belustigt drein.

„Kommt mit!“

Wir zögerten und folgten ihm dann. Felix lief entschlossen voraus und blieb vor einem schäbigen, kleinen, gelben Auto stehen. Es war sehr heruntergekommen, hatte mehr rostige Teile als heile, hatte Beulen und Kratzer und schien jeden Moment auseinander zu fallen.

„Frankreich ist herrenlos…“, sagte er in einer sehr eigenartigen Hochstimmung. Er schaute uns mit begeistertem Grinsen an. Was wollte das denn jetzt schon wieder heissen? Waren nur noch Frauen in Frankreich? Paul und ich schauten uns ahnungslos an, er zuckte, die Hände in die Manteltaschen gepflanzt, mit den Schultern, zog beide Augenbrauen hoch und machte eine dicke Lippe.

Felix reichte mir einen Schlüssel, anscheinend der, der rostigen Blechkiste und sagte: „Jetzt ist er deiner. Lasst uns abhauen. Auswandern!»

«Abhauen? Wohin denn?»

«Gehen wir nach Frankreich. Stellt euch doch mal vor. Wir lassen unsere lausigen Existenzen hinter uns und drehen einen Film. Eine Reportage! In Frankreich passiert jetzt haufenweise Zeugs. Als Filmcrew müssen wir nicht schiessen, aber haben trotzdem eine Ausrede, um aus diesem Bullennest zu kommen.

Endlich passiert etwas während unseren Lebzeiten. Ich habe all meine Sachen schon gepackt. Sie sind im Kofferraum. Wir müssen morgen Abend los. Roadtrip!“

Ich war verwirrt. Das war sehr eigenartig, sogar für Felix.

„Wo ist das ganze Geld, dass ich dir geliehen hab‘?“ fragte ich ein wenig harsch.

Die Antwort kam in einem riesigen, wirren, schnellen Wortstrom:

„Ja, ja, die Kohle… Scheisse, sorry, ich bin froh, dass ich mit meinem Leben davongekommen bin. Ich habe mir einige sehr dicke, grosse Feinde gemacht, weil ich sie bestohlen habe, dann hat mich ‘ne Streife erwischt, aber ich konnte den Bullen mit deiner Kohle bestechen und hab die Kiste gekauft und um wieder hierher zurück zu kommen… Und ‘ne Kamera , und tja jetzt bin ich auf der Flucht vor den dicken Mafiosis die mir die Eier abschneiden wollen und dazu kommt, dass die alle ihre Kontakte mit den Bullen haben… “

Es war mir egal. Ich umarmte Felix und stemmte ihn hoch und Paul klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. Ich war wirklich froh ihn wieder zu sehen und pfiff auf die Kohle.

„Wir haben gedacht, die hätten dich gekillt, Dicker…“ brummelte ich mit Papastimme.

Wieder eine halbe Stunde später sassen wir alle drei vor Whiskey und Bier in einer kleinen Kneipe nahe des Betonviertels. Felix hatte nicht alles Geld verloren und gab mir etwa 300 zurück, das reichte um uns drei ‘ne Weile lang durchzubringen. Er war immer noch dabei uns dazu zu überreden, mit ihm nach Frankreich zu gehen, als wäre es der logischste nächste Schritt überhaupt:

„Wir können endlich raus aus der Schweiz. Auf das haben wir doch gewartet. Ein Leben ohne Bullen im Nacken! Nach all den Jahren, in denen wir auf dieser scheiss Bankeninsel festgesessen haben, können wir uns einfach über die Grenze schmuggeln und dann in die Freiheit flüchten.“

„Man kann sich nicht einfach über die Grenze schmuggeln und ausserdem…“, erklärte Paul in genervt-geduldigem Ton, doch Felix unterbrach:

„Wann hast du das letzte Mal das Meer gesehen? Die Sandstrände, die Sonnencreme, weisst du noch? Wann warst du das letzte Mal so lange aus, dass du beim Sonnenaufgang zu Bett gegangen bist?

Wann hast zum letzten Mal eine Tüte geraucht, ohne Angst, die Bullen würden jeden Moment um die Ecke trotten? Hm?

In Frankreich herrscht totale Anarchie, stell dir vor, wie es sein könnte! Der wilde Westen! Wir filmen ein paar schräge Typen und schneiden es zusammen. Und dann machen wir mit dem Film ‘nen Haufen Kohle… Ab ins freie Frankreich!“

So ging das noch einige Zeit weiter bis uns die Ausgangssperre nach Hause zwang.

Als wir uns um etwa halb 2 Uhr morgens taumelnd auf den Heimweg machten, trafen wir den sturzbesoffenen und singenden, guten, alten Johannes.

Johannes ist steinalt und wohnt in der Wohnung unter uns. Er ist zu seiner Zeit ein rebellischer junger Hippie gewesen, der neben Sex, Drugs & Rock’n’Roll – und nach den Pariser ‘68ern – als Geschichtslehrer an einem Gymnasium unterrichtet hatte. Jetzt war er in Pension und wartete komasaufend auf das Ende seiner Tage.

Der betrunkene Greis war gerade dabei singend auf ein parkiertes Polizeiauto zu pissen. Wir begrüssten ihn freudig, warteten bis er abgeklopft hatte, dann brachten wir ihn zu sich nach Hause.

Johannes mochte es zu reden. Viel zu reden. Aber er hatte auch was zu sagen, der alte Bastard und ausserdem versorgte er uns mit Kiffe.

Also sassen wir in seinem bequemen Wohnzimmer, vier besoffene erwachsene Typen, die zusammen etwa so viel Geld hatten, wie ein 14-Jähriger Taschengeld im Monat kriegt.

Felix und Johannes sprachen in den Sofas versunken noch lange über südamerikanische Diktatoren, Paul war in der Musik vertieft und ich schaute aus dem Fenster und über den weiten See.

Diese Idee hatte mich aus einer Trägheit geweckt, aus einer Verlorenheit, aus einer Sinnkrise. Ich hatte früher immer vom Weggehen geträumt. Einfach durch die Welt sausen, tatsächlich sehen, wie gross der Globus ist, wie falsch unsere Vorurteile, wie schön das Leben auf der Strasse, ohne klares Ziel und mit viel Abenteuergeist.

Das könnte es sein: Das Abenteuer meines Lebens. Und die Reportage als Mission, Reporter als Identität. Jetzt, da die Heimat so unbequem und kalt erscheint, muss man doch ins Ungewisse, so dachte ich.

«Ich weiss nicht…» sagte Paul. Johannes war schnarchend eingeschlafen.

Felix flüsterte zum letzten Mal zum Angriff:

«Es wäre ein lebensveränderndes Erlebnis. Einfach raus. Ohne Nachzudenken. Wir haben etwas Geld und verdienen irgendwo was dazu…

Hier wartet nichts auf uns. Hier nützen wir niemandem. In Frankreich wartet das Abenteuer.»

Dann schnappte er sich die Autoschlüssel und wünschte uns eine gute Nacht. Ich war froh, etwas Schlaf zu bekommen und lief mit Paul hoch zu unserer Wohnung.

Sollten wir gehen? In ein Land, das im Chaos versinkt? Aus der Sicherheit ins Ungewisse? Es war so surreal. Mein ganzes Leben war hier, in der Schweiz, aber was war mein Leben schon?

Johannes war so begeistert gewesen von der Idee, er hatte richtig neidisch ausgesehen.

«Macht etwas, ihr kifft hier nur rum und lasst euch von Bullen und Faschos verprügeln… Ich würd’s machen.»

Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich war seit längerem depressiv. Meine ganze Realität schien unreal und fremd. Meine Tage verstrichen…

Es ist schwer darüber zu reden. Aber es ist wichtig, damit ihr versteht, in welcher Situation wir damals waren.

Ausserdem hatte ich immer mehr Angst vor der Polizei, durch die massenhafte Rekrutierung kamen immer mehr Schläger und unqualifizierte Ärsche zu den Ordnungshütern, etwa solche, die Leuten wie mir aus Lust und Laune gründlich die Fresse polieren wollten.

Als ich am nächsten Tag aufwachte, schien die Sonne. Es war wunderbar! Ich stand auf und ging schnurstracks in Pauls Zimmer. Ich wusste: Ich wollte nach Frankreich!

Irgendwie hatte mich der gute alte Johannes überzeugt.

«Paul! Paul!»

Er brummelte und drehte sich gegen die Wand.

«Paul! Stell es Dir doch vor! Wir fahren umher, schreiben Fragen und Texte, lesen sie vor der Kamera vor, Du, als grosser Star, ich als Schreiber…

Felix der Kameramann… Alter! Es könnte so cool werden! Ins Ungewisse! Ins Leben!»

Ich redete so lange auf ihn ein, bis ich in Pauls Gesicht endlich auch dieselbe Vorfreude lesen konnte, wie in meinem.

Er stand auf und wir leerten all unsere Kleider auf den Boden und stopften sie in Rucksäcke und in Sporttaschen.

Alle Accessoires und Andenken etc. legten wir in einen kleinen Koffer. Die Wohnung war nach etwa einer viertel Stunde leer.

Alles was blieb war Küchengeschirr, leere Möbel und Müll den wir eh nicht mitnehmen wollten.

Wir stopften alles Gepäck in die kleine gelbe Schrottmühle und liessen uns auf die Sitze fallen.

Felix lag schnarchend auf der Rückbank. Wir drehten uns beide zu ihm um und sagten im Chor: „Guten Morgen, Sonnenschein! Auf geht’s…“

Felix rieb sich die Augen und schaute uns verwirrt an. Ich liess den Motor an und aber zögerte dann…

„Was is?! Fahr los…“

Ich schaltete den Motor wieder aus und spurtete die Treppen hoch bis zur Wohnung von Johannes. Ich klingelte vier Mal ungeduldig bis dieser gereizt die Tür aufriss. Als er mich erkannte, lächelte er.

„Was ist los, Bruder? Brauchst du Kiffe?“

„Pack deine Sachen, Opa, wir gehen nach Frankreich.“

„Das ist nicht dein ernst. Ich kann nicht…“

„Komm schon, lass dein Gequassel. Du solltest deine letzten Jahre nicht in dieser Pissbude verbringen!“

Es brauchte nicht lange um den alten Anarchisten zum Gehen zu überreden. Dann sassen wir alle im vollgestopften Auto. Paul, der trübsinnige Schauspieler, Felix, der kleine Gangster, Johannes, der alte Säufer und ich, der erfolglose Schriftsteller.

Der Motor schnurrte und wir fuhren endgültig weg von der grauen Betonsiedlung.

Wir liessen die dreckigen Strassen und die Polizeipatrouillen da und näherten uns dem verbummelten Stadtrand.

«Letztes Bier im Kerrigan Pub?» fragte ich in die Runde. «Aye!» kam es einstimmig zurück. Wir parkten und schritten alle munter in die Tränke.

Sie setzten sich in die Ecke und ich wartete an der Bar auf die Bedienung. Das Herz rutschte mir in die Hose, als der rote Schimmer aus der Küche kam.

Es war Solène.

Sie trug Schürze und Hemd vom Pub und erkannte mich wenig begeistert.

«Phip? Salut. Was willst du?»

«Wow, Solène, ciao, wie geht’s? … ich ähm, vier Bier bitte…»

Es war recht unangenehm. Sie tat so, als wäre nichts Spezielles an dieser Szene.

Mir war speiübel. Ich war noch über beide Ohren in sie verknallt. Dazu sah sie so verdammt gut aus…

Etwas später kam sie ohne Schürze zu uns an den Tisch und fragte verlegen:

«Eh, Jungs, ihr hättet nicht zufällig noch ein Bisschen Kiffe? Meinen Dealer haben sie wahrscheinlich eingebuchtet…»

Alle erstarrten und stammelten verlegen vor sich hin und holten ihre Vorräte auf den Tisch.

«Sicher doch» «Klar, klar» «Setz dich doch zu uns.» Diese verdammten Lustmolche.

Sie setzte sich. «Danke vielmals, das rettet mir den Abend. Nur noch arbeiten und schlafen… Da hilft ‘ne Tüte von Zeit zu Zeit…» Alle äugelten überfreudlich und murmelten zustimmend und kichernd.

«Wo seid ihr den noch unterwegs?»

Das war der Einsatz für Felix. Er brabbelte sofort los:

«Das sollten wir dir eigentlich nicht sagen. Es wäre gefährlich für dich…»

«Ach, komm schon. Wollt ihr das Bundeshaus sprengen?», lachte sie.

«Wir sind auf dem Weg nach Frankreich.», meldete sich Paul, gefolgt von einer kurzen Stille. Sie sprang auf den gespielten Ernst auf und flüsterte:

«Nach Frankreich? Aber… Wow… Wie denn, habt ihr ein Boot»

«Ein Auto.» «Wie kommt ihr an den Wachen vorbei?»

Paul war plötzlich nicht mehr so skeptisch und sagte selbstsicher:

«Scheissegal. Wir schaffen es irgendwie an den Wachen vorbei. Wenn wir es nicht versuchen, verrotten wir in dieser Hölle.»

Solène schenkte ihm einen Blick, der mich hart in den Magen trat.

«Wir wollen eine Reportage filmen. Über den Krieg und so. Alles was wir zu sehen bekommen…» Alle nickten beklommen und plötzlich ganz fachkundig.

Solène war von Minute zu Minute interessierter und dann, als wir uns verabschieden wollten, sagte sie, zu unser aller Überraschung:

«Habt ihr noch einen Platz frei? Würdet ihr hier warten, nur eine halbe Stunde oder so?»

Verblüfft blieben sie hängen.

«Ich habe dieses Land satt und eine solche Möglichkeit wird sich mir nicht mehr bieten… Ich habe ziemlich viel Kohle auf der Seite, ich kann euch durchfüttern»

Alle schauten flehend zu mir, wieso auch immer: «Was?»

«Es ist dein Auto…» Flüsterte Felix.

«Ach so, ja natürlich kannst Du! Sehr gern sogar!»

Sie jauchzte vor Freude und fiel mir um den Hals. Mein Kopf wurde warm und ich schaute mit wildem Blick in die Runde.

«Ich bin in einer halben Stunde wieder hier. Wartet, ich geb’ euch noch einen aus. Emilio! Gib ihnen noch vier Bier! Zieh es von meinem Trinkgeld ab. Und ich kündige!»

Und so waren wir zu fünft, an Bord des kleinen gelben Wagens. Es war für uns alle etwas unreal, es war so schnell gegangen und doch sollte es unser Leben für immer verändern.

„Drei doppelte Espresso, bitte“ brummelte ich der jungen Servierdüse einer Autobahnraststätte zu.

„Espressi“ korrigierte mich Paul.

„Babedibupi Arschloch.“ Erwiderte ich mit den Händen fuchtelnd. Johannes kicherte mit seinem bärtigen kichern. Wir waren nicht weit von der Grenze, irgendwo ausserhalb von Genf. Im Fernseher liefen gerade die Nachrichten:

„Guten Abend, meine Damen und Herren, hier sind die Spätnachrichten:

Amerika und Kanada besiegt!

Somit scheint der Arktiskrieg nur noch zwischen der Skandinavischen Union, Russland und China weiter zu gehen. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben ihren Präsiden MC Freeza gestürzt und ein vom Parlament gewählter Vertreter hat die Kapitulation unterzeichnet. Kanada hat kurz darauf auch kapituliert, da die Antikriegsdemonstrationen in Vancouver und Montreal zu ernst wurden.

Präsident MC Freeza hatte angeordnet die Atombombe auf China zu schiessen, woraufhin das Parlament einschreiten musste. Wir schalten Live nach Washington zu unserem Auslandskorrespondenten, Mr. Gerard Prélaz:

Ja, die Situation in der Hauptstadt ist sehr angespannt. Sehr viele Anhänger des gestürzten Präsidenten rufen in Internetportalen und auf Twitter mit rassistischen Parolen gegen Asiaten und den „Verrätern“ aus Kanada zum Kampf auf. Eine Reihe von Anschlägen erschütterten gestern Abend Chinatown und die umstehenden Regionen. Auch sehr viele prominente Schauspieler und Musiker schliessen sich dem Internetpöbel an, der den Abwurf der Atombombe und die Wiedereinstellung von Altpräsident MC Freeza fordert. Das Portal «Nuke-em.org» zählt zu den meistbesuchten Internetadressen der Welt.

Sie protestieren, in dem sie alle zu Hause an ihren Computern oder in Autos mit voller Lautstärke MC Freezas neusten Hit „I ain’t never fucked no yellow bitch“ durch ihre offenen Fenster hatten hallen lassen. Der private Radiosender des gestürzten Präsidenten senden den Song in Dauerschlaufe mit ändernden Ausschnitten vergangener Reden. Die Polizei hat sich zum Teil den Demonstranten angeschlossen und auf ihren iPods denselben Song angehört oder «Nuke Em» Sticker auf ihre Schilder geklebt.

Danke Gerard Prélaz und wir gehen weiter nach Paris wo die Massen den Regierungspalast gestürmt und besetzt haben…“

Ich habe mich nie wirklich für Nachrichten interessiert. Dieses Bild der Welt war zu unrealistisch. Es war ein schlechter Actionfilm. Mit langweiligen Dialogen und schlechten Kostümen. Es war Smalltalk-Munition. Aber billig produzierte Munition. Niemand realisiert, dass es sich um tatsächliche Geschehnisse handelt. Niemand realisiert, dass es die Geschichtsstunden von Morgen sein könnte, falls es morgen noch Geschichtsstunden geben sollte. Alle schauen bequem von zuhause dem zusammengefassten Weltgeschehen zu. Immer zur selben Zeit, dieselbe Länge.

Wir verliessen die Raststätte und setzten uns wieder ins Auto.

22 Uhr. Das kleine gelbe Auto hatte uns bis an den Zoll gebracht. Ratlos betrachteten wir das Zollgebäude. Festung würde wohl eher zutreffen. Was sollten wir tun? Paul’s Satz „Wir können uns nicht einfach über die Grenze schmuggeln.“ Hallte schon seit einigen Minuten in meinem Kopf und machte leider immer wie mehr Sinn.

Plötzlich sprang das Tor auf und einige Polizisten taumelten betrunken in die Ferne. Sie hatten wohl Feierabend. Ein anderer Wächter blieb zurück, offenbar sehr unzufrieden über sein Los.

Er stampfte gelangweilt umher und schwenkte seine Maschinenpistole. Ich hatte die Waffen vergessen. Ich wollte nicht sterben. Ich machte den Schlüssel schon bereit um wegzufahren, zurück, da erwachte plötzlich Felix und liess ein langes erstauntes „ooooh.“ heraus. „Ich kenn den Bullen!“

Felix hatte ihm tatsächlich vor ein paar Monaten grosse Mengen Amphetamin gedealt. Die Polizeiakademien schauten eh nicht mehr gross auf Hintergründe der neuen Rekruten. Paul, Solène, Johannes und ich schauten gespannt zu, wie Felix unauffällig dem Beamten sein Anliegen schilderte.

Ein kleines Druckverschlusssäcklein wanderte in die Uniformshosentasche und einige Minuten später fuhren wir leise über die Grenze… Geschafft.